
Kleine Nachlese zum Holocaust-Gedenktag: Edna Jonas (USA) im Deutschlandfunk
In seinem Magazin „Informationen am Morgen“ hat der Deutschlandfunk am 27. Januar 2023, dem Internationalen Holocaust-Gedenktag, einen Beitrag seiner Washington-Korrespondentin Doris Simon über Edna Jonas gesendet. Er trägt den Titel: „Eltern flohen vor Holocaust. Eine amerikanische Jüdin beantragt mit 72 Jahren den deutschen Pass“ (Länge: 7 Minuten).
Edna Jonas ist die Tochter von Dr. Herbert Jonas (1925-2005), der im Anschluss an den ersten großen Besuch jüdischer Überlebender (1988) seine Heimatstadt Borken, insbesondere die Schulen, bis Anfang der 2000er Jahre regelmäßig besucht hat. Die Mutter von Herbert Jonas war eine Schwester von Moritz Gans, dem Vater von Karl (Gershon), Manfred und Theo Gans. Die Familien Jonas und Gans wohnten an der Bocholter Straße einander gegenüber, bis sie von 1936 an nach und nach über die Niederlande in sichere Asylländer emigrieren bzw. fliehen mussten. Herbert Jonas gelangte mit seinen Eltern in die USA.
Edna Jonas lebt als gebürtige Amerikanerin in den USA und war am 9. November 2018 mit vielen Mitgliedern der Familie Gans zu Besuch, um an der Premiere des Films „Eine Reise in die Vergangenheit: Die Geschichte der jüdischen Familie Gans aus Borken“ („Back to Borken“) des Autors Daniel Huhn und an dem Shabbat-Dinner teilzunehmen, zu dem die Bürgermeisterin die jüdischen Gäste eingeladen hatte. Edna Jonas hat – nicht zuletzt motiviert durch ihren Besuch 2018 – mittlerweile neben der amerikanischen die deutsche Staatsbürgerschaft erworben – eine freundschaftliche Referenz auch an unsere Stadt und an die Menschen, denen sie hier begegnet ist, wie sie in dem Beitrag zum Ausdruck bringt.
Kennengelernt hatte DLF-Korrespondentin Doris Simon Edna Jonas bei einer Feier des deutschen Konsulats Washington zu Ehren derjenigen Amerikanerinnen und Amerikaner, die in seinem Konsulatsbereich die deutsche Staatsbürgerschaft erworben hatten.
Edna Jonas, jüdisch-deutsche Amerikanerin/Simon Früh 27.1.2023
Ich habe eine Schublade mit all meinen Papieren. Dort werde ich ihn aufbewahren.
Der deutsche Pass. Edna Jonas hat ihn noch nicht, sie will ihn demnächst beantragen. Die Urkunde über Edna Jonas´ deutsche Staatsbürgerschaft liegt sicher in einem Safe.
Edna Jonas ist seit 72 Jahren US-Bürgerin und seit kurzem auch Deutsche. Die zierliche Frau, offiziell im Ruhestand, arbeitet aber immer noch, als Gesundheitsexpertin in der US-Entwicklungshilfe, zuletzt in Malawi. Immer dabei: der blaue US-Pass.
Interessanter Gedanke: Wenn ich das nächste Mal nach Deutschland fahre, muss ich meinen deutschen Pass dabeihaben, weil ich jetzt die deutsche Staatsbürgerschaft habe. Ich bin dabei, mich an diesen neuen Teil meiner Identität zu gewöhnen.
Edna Jonas wuchs als Älteste von vier Geschwistern auf. Eine geborgene Kindheit im Mittleren Westen der USA. Die Eltern hatten als Kinder Deutschland verlassen müssen. Vater Herbert, geboren im münsterländischen Borken, floh nach der Pogromnacht 1938 mit seiner Familie über die Niederlande in die USA. Mutter Miriam war aus Frankfurt mit ihren Eltern schon früher nach Palästina ausgewandert, nach Tel Aviv.
Ich habe mich gefragt, was es bedeutet, einen Pass zu bekommen und Bürger eines Landes zu werden, das meine Familie im Grunde vertrieben hat oder nicht wollte, dass sie überhaupt existiert. Wollen wir diese Menschen triumphieren lassen?
Als Edna klein war, sprachen die Eltern untereinander deutsch. Später nur noch, wenn die Kinder nicht mithören sollten. Edna Jonas hat nie Deutsch gelernt, aber der Klang hat für sie etwas Vertrautes. Aufgewachsen in einer Kleinstadt in Iowa, fühlte sich Edna Jonas als Amerikanerin immer etwas als Außenseiterin.
Ich fühlte mich immer ein wenig als Außenseiterin. Selbst als Kind in einer Kleinstadt in Iowa fühlte ich mich irgendwie anders als meine Freunde, wahrscheinlich auch, weil wir Juden waren.
Wahrscheinlich auch, weil wir Juden waren, sagt Edna Jonas rückblickend. Ihre Eltern waren grundverschieden. Miriam Jonas konnte nach ihren Erfahrungen in Nazideutschland nicht mehr bedingungslos vertrauen.
Glaube nie, dass so etwas hier nicht passieren kann, habe ihre Mutter gesagt. Miriam Jonas ermunterte Edna, Dinge immer kritisch zu hinterfragen. Das hat sie ihr Leben lang getan. Aber sie hat auch viel von ihrem Vater. Vor allem seine Zuversicht:
Er sah die Dinge immer positiv, selbst als er im Zweiten Weltkrieg für die US-Armee kämpfte, sprang er mit dem Fallschirm über den Feldern seines Großvaters in Westfalen ab. Hitler war besiegt, und alles davor war für ihn Vergangenheit. Das war seine Heimat. Er hat das wahrscheinlich nie durch ein anderes Gefühl von Heimat ersetzt.
Schon in den sechziger Jahren reiste die Familie nach Westdeutschland, auch nach Borken: Edna sah das frühere Elternhaus ihres Vaters, die Synagoge, das Geschäft, wo der Großvater seinen Kurzwaren-Großhandel geführt hatte. Ihre Eltern hätten nicht viel über ihre Kindheit in Nazi-Deutschland erzählt, erinnert sich Edna Jonas: Aber sie wollten, dass wir die Vergangenheit kennen, ohne Hass auf Deutschland. Als seine Heimatstadt sich mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit auseinanderzusetzen begann und 50 Jahre nach der Pogromnacht Überlebende einlud, zögerte Herbert Jonas nicht. Danach fuhr er jedes Jahr nach Borken, so lange er konnte.
Da gibt es diesen Buchtitel des Autors Tom Wolfe: Du kannst niemals wieder nach Hause zurückkehren. Den habe ihr Vater immer zitiert und gesagt: „Da irrt Tom Wolfe.“
Ihr Vater sei wirklich gerne nach Borken gefahren. Er habe dort Freundschaften geschlossen. Seinen Cousins und Cousinen aus Israel und New Jersey sei es genauso gegangen.
Ihr Vater war schon viele Jahre tot, da bekam Edna Jonas selbst eine Einladung ins Münsterland, zu einer Filmvorführung. Im Dokumentarfilm Back to Borken machen sich Nachfahren von Manfred Gans, einem vor den Nazis geflüchteten Sohn der Stadt, auf dessen Spuren. Gans kam 1945 als britischer Offizier in seine Heimat zurück und fuhr von dort aus nach Theresienstadt, um seine Eltern aus dem Konzentrationslager zu holen. Als Edna 2018 die Einladung bekam, arbeitete sie in Bangladesh. Kurz darauf war sie unterwegs nach Borken, zum ersten Mal nach fast 50 Jahren. Es war ihr nicht fremd.
Die Menschen, die ich dort getroffen habe, waren wundervoll. Es war vertraut, es fühlte sich an, als wenn ich mit meinen Freunden sprechen würde, es war ganz selbstverständlich.
2019 erleichterte Deutschland die Einbürgerung für Nachfahren von NS-Opfern. Zwei von Ednas Geschwistern waren nicht interessiert, eine Schwester überlegt bis heute. Edna fiel die Entscheidung leicht: Deutschland, sagt sie, sei ein Teil ihrer Identität.
Für mich war es ganz naheliegend, weil ich das als Teil meiner Identität empfand.
Vier Jahre später hat Edna Jonas eigene Bindungen an den Geburtsort ihres Vaters. Zuletzt hat sie mit Hilfe des Stadtarchivs einen Antrag für die Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem zusammengestellt: Ein Freund ihres Großvaters aus Borken soll als Gerechter unter den Völkern geehrt werden. Der Mann hatte nach der Pogromnacht 1938 erreicht, dass alle Festgenommenen in der Kleinstadt, darunter Ednas Vater und zahlreiche Verwandte, nicht in ein KZ gebracht wurden, sondern fliehen konnten. Edna Jonas verfolgt, was heute in Deutschland passiert. Der Putschversuch rechtsextremer Reichsbürger beunruhigt sie. Aber die Reaktion der Sicherheitsbehörden und Deutschlands Umgang mit rechtsextremen Elementen beeindruckt sie- auch im Vergleich mit ihrer amerikanischen Heimat.
Es gibt strenge Gesetze in Deutschland. Wenn man die Leute einfach laufen und machen lässt, wird es immer gefährlicher.
So ironisch es vielleicht klinge: Deutschland scheine heute ein vergleichsweise friedlicher und vernünftiger Ort zu sein.