Geschichte des Stadtarchivs
Weitgehend unbekannte Geschichte - die Entwicklung des Borkener Stadtarchivs bis 1937
"Stadtarchiv, völlig ungeordnet; die Urkunden in einem Schranke des städtischen Sitzungszimmers, die Akten in einem Schranke auf dem Flur. Ordnung beabsichtigt." Diese um das Jahr 1900 im Rahmen einer Begehung aller westfälischen Archive verfasste Einschätzung des Prof. Dr. Heinrich Finke wirft ein verheerendes Bild auf die Geschichte des Stadtarchivs, von dessen Geschichte heute recht wenig bekannt ist.
Es kann angenommen werden, dass schon kurz nach Verleihung der Stadtrechte, deren Datum um 1225/26 vermutet wird, die städtischen Privilegien in Form von Urkunden an einem besonders sicheren Ort aufbewahrt wurden. Im Normalfall war dies eine schwere Truhe - der sichere Nachweis hierfür fehlt.
Im Lauf der Jahrhunderte entstand in der städtischen Registratur immer mehr Schriftgut, auch mussten Urkunden dauerhaft aufbewahrt werden. Ohne schriftliche Nachweise hatten es die städtischen Bediensteten schwer, die Rechte und Privilegien der Stadt vor Dritten zu belegen - Interesse an einer geordneten Ablage dieser Schriftstücke dürfte also vorhanden gewesen sein. Die Ordnung, oder vielmehr die fehlende Ordnung, war jedoch im 17. bis 19. Jahrhundert immer wieder Thema. Belegt ist, dass der Scholastiker Jodocus Hermann Nünning ab 1727 das zu diesem Zeitpunkt völlig in Unordnung geratene Archiv der Armenstiftung sowie der Stadt neu ordnete. Jahrzehnte später, um das Jahr 1798, legte der Notar Johannes Paptista Pulch ein Register der städtischen Akten an, in der Hoffnung "das einmahl ihr Stadt Borckensches Archiv in einem solchem Stande wäre, daß man finden könne, waß zu Stadts Angelegenheiten nötig..."
Es sollte jedoch bis etwa 1921 dauern, bis man eine nachhaltige Ordnung des städtischen Archivs in Angriff nahm. Ziel dieser Aktion war es offenbar, zur 700-Jahrfeier, die im Jahr 1926 stattfand, das Archiv neu geordnet zu haben. Mit Hilfe des Münsteraner Archivars Heinrich Pottmeyer wurden umfangreiche Teile des alten Archivs erfasst und verzeichnet. Er registrierte auch einen Großteil der rund 700 städtischen Urkunden, während ein Herr Lünenborg die fehlenden Urkunden registrieren sollte.
Für das Jahr 1927 ist der Borkener Volksschullehrer Klaus Laas als ehrenamtlicher Archivpfleger geführt, über seine Tätigkeit liegen jedoch keine Aufzeichnungen vor. Als dieser 1937 starb, kurz nachdem er auch die ehrenamtliche Tätigkeit des Kreisarchivars für den Altkreis Borken übernommen hatte, war die Stelle des Stadtarchivars wieder verwaist.
Bernhard Siepe wird ehrenamtlicher Stadtarchivar (1937-1972)
Mitte 1937 übernahm der Volksschullehrer Bernhard Siepe die Nachfolge des verstorbenen Archivpflegers Laas. Siepe selbst engagierte sich seit Ende 1925 im Vorstand des Borkener Heimatvereins und baute zudem das Heimatmuseum an der Kommende mit auf. Auch über seine Tätigkeit gibt es nicht viele Erkenntnisse. Er übernahm 1939 auch das Amt des Stadtchronisten, eine Chronik fehlt leider, und wurde 1942 auch mit der ehrenamtlichen Leitung der Stadtbücherei betraut.
Das städtische Archiv überstand den Zweiten Weltkrieg offenbar unbeschadet, was vermutlich auch dem Engagement Siepes zu verdanken ist. Während die ältesten Archivalien nach Höxter ausgelagert wurden, diente ein unbekannter städtischer Turm als Bergungsort für die jüngeren Archivalien. Weniger Glück hatten die städtischen Registraturen,
sie wurden ebenso wie die des damaligen Amtes Marbeck-Raesfeld gegen Kriegsende durch Bombenschäden bzw. bei Herannahen der alliierten Truppen im März 1945 vernichtet.
Als ehrenamtlicher Archivar sollte Bernhard Siepe das städtische Archiv insgesamt 35 Jahre leiten. Er veröffentlichte Berichte über geschichtliche Themen in der Lokalzeitung oder dem Kreisjahrbuch, welches er zwischen 1952 und 1955 als Schriftleiter betreute. Wie sehr er sich mit "seinem" Archiv identifizierte, beweist auch die Tatsache, dass er nach Ende des Zweiten Weltkriegs mangels geeigneter Räume für die Unterbringung des Archivgutes einen Raum seines Hauses an der Bocholter Straße hierfür anfangs unentgeltlich bereit stellte.
Karl Pöpping als ehrenamtlicher Stadtarchivar (1972-2014)
Das Engagement von Karl Pöpping, welcher Ende 2014 verstarb, sollte sich für die Stadt als Glücksfall erweisen. So beschäftigte sich der Ehrenringträger der Stadt intensiv mit dem Archivgut und gab zwischen 1986 und 2004 die elfteilige Reihe "Aus der Geschichte unserer Stadt" heraus. Mit der auf gelbem Papier gedruckten Reihe "Dokumente aus dem Stadtarchiv" verstand es Pöpping, der die Niederschrift der Erkenntnisse aus seinem Studium in den Archivalien eigentlich gerne anderen überlassen hätte, ein immer größeres Publikum zu erreichen.
Das Stadtarchiv heute
Mit Anne Willenbrock in den 1980er- und 1990er-Jahren und dem Historiker Dr. Norbert Fasse seit dem Jahr 2000 bekam das Stadtarchiv erstmals eine hauptamtliche Leitung. Beide waren auch für das Stadtmuseum mitverantwortlich, dies sollte sich erst 2014 ändern. Neben Karl Pöpping engagierten sich auch die ehemaligen städtischen Bediensteten Hermann-Josef von Oy und Paul Hellmann ehrenamtlich. Ihr Verdienst ist unter anderem die Neuordnung der städtischen Fotosammlung.
Nach dem Ausscheiden der ehrenamtlichen Archivmitarbeiter sowie dem Tod von Karl Pöpping zeigte sich im Rahmen einer Neukonzeptionierung des Archivs, dass aufgrund von Kapazitätsproblemen ein neuer Standort des Archivs nötig wurde. Das neue Stadtarchiv fand Ende 2021 seinen neuen Platz im Neubau Gebäude D des Rathauses.
Mit Thomas Hacker wurde Ende 2016 erstmals ein hauptamtlicher Diplom-Archivar eingestellt. Die Sichtung städtischer Registraturen, die Erfassung der Altbestände sowie die Übernahme genuin elektronischer archivwürdiger Registraturen werden das kleine Team des Borkener Stadtarchivs zukünftig vermehrt beschäftigen. Ein wesentlicher Punkt ist hier auch eine Bereitstellung von Erschließungsinformationen im Internet, sodass sich Benutzer vorab umfassend vor ihrem Archivbesuch informieren und für sie relevante Archivalien zur Einsicht aussuchen können. Damit hat sich das Borkener Stadtarchiv des 21. Jahrhunderts weit von der sehr kritischen Einschätzung des Jahres 1900 entfernt - worauf wir auch sehr stolz sind.